Die Sterne über zwei Welten

Geschrieben von Liam Blue

Published
27.08.2025

Als Ebook erhältlich

4,99 €

Als Taschenbuch erhältlich

13,95 €

Seoul: Eine Stadt zwischen Neonlichtern und verborgenen Geheimnissen. Die junge Studentin Park Sunmi stolpert eines Nachts über ein verstecktes Portal in einer U-Bahn-Station – den Eingang nach Haneul-guk, einer Parallelwelt voller Magie und alter Traditionen. Dort trifft sie auf Kim Jihoon, den coolen, aber distanzierten Wächter des Portals, der fest daran glaubt, dass Sunmi die Auserwählte ist, von der eine alte Prophezeiung spricht.

Während Sunmi versucht, ihr Doppelleben zu meistern – Uni am Tag, magische Abenteuer in der Nacht – muss sie sich nicht nur mit den Herausforderungen von Haneul-guk auseinandersetzen, sondern auch eine Verschwörung aufdecken, die beide Welten in Gefahr bringt. Und was ist mit den unerwarteten Gefühlen, die sie für Jihoon entwickelt, obwohl sie aus so unterschiedlichen Welten stammen?

Leseprobe

Episode 1

☙ Die Entdeckung ❧

DIE NEONLICHTER VON SEOUL spiegelten sich auf dem regennassen Asphalt, während der kühle Oktoberwind durch die Straßen fegte. Sunmi zog ihren übergroßen Hoodie enger um sich und hastete die Treppen zur U-Bahn-Station hinunter. Sie war zierlich, ihr schulterlanges, dunkelbraunes Haar klebte leicht an ihren Wangen. Hinter ihrer großen, runden Brille funkelten mandelförmige Augen, deren warmes Braun im Licht manchmal golden aufleuchtete. Trotz ihrer schlichten Kleidung – meist Hoodies und Rock – haftete ihr eine stille Ausstrahlung an, die Blicke auf sich zog. Um ihren Hals lag immer derselbe silberne Halbmond-Anhänger, ein Geschenk der Großmutter. Feine Gravuren zogen sich über das Metall, wie kleine, uralte Symbole. Sunmi konnte nicht erklären, warum, aber der Anhänger gab ihr ein Gefühl von Sicherheit – als würde er sie beschützen. Die letzten goldenen Blätter der Ginkgobäume wirbelten um ihre Füße, ein letzter Farbtupfer in der grauen Stadt. Mit einem leisen Fluch schob sie die beschlagene Brille hoch. Der Temperaturwechsel hatte die Gläser blind gemacht. Mit klammen Fingern putzte sie sie am Ärmel ihres Hoodies. Herbst in Seoul – morgens mild, abends schleicht sich die Kälte in die Knochen. Mistwetter. Und natürlich bin ich wieder spät dran. Heute hatte sie sich besonders auf Professor Lees Vorlesung über koreanische Mythen gefreut. Er war ein wandelndes Lexikon, wenn es um alte Legenden ging. Sunmi liebte diese Geschichten – sie entführten sie in eine Welt voller Magie und Geheimnisse, weit weg von ihrem kleinen Apartment nahe der Uni, das sie sich mit Nebenjobs finanzierte. Nach der Uni hatte sie sich noch mit Freunden in der Bibliothek getroffen, um an einem Projekt zu arbeiten. Die Zeit war verflogen, und jetzt hetzte sie der letzten Bahn hinterher. Ein heißer Tee, das wäre jetzt was. Und mein Bett. Die U-Bahn-Station war angenehm trocken, auch wenn die Luft nach Regen und Pendlerhektik roch. Sunmi warf einen Blick auf die Uhr, beschleunigte ihre Schritte. Fast niemand mehr unterwegs – nur ein paar vereinzelte Gestalten auf dem Bahnsteig. Die meisten Studenten lagen wohl schon in ihren warmen Betten, während sie versuchte, die letzte Bahn zu erwischen. Sunmi war keine typische Studentin. Mit 22 hatte sie mehr erlebt als viele ihrer Kommilitonen. Während andere noch vom Geld ihrer Eltern lebten, hatte sie früh gelernt, sich durchzubeißen. Ihre Eltern führten ein kleines Restaurant am Stadtrand, und obwohl sie Sunmi immer unterstützt hatten, war das Geld knapp. Neben dem Studium arbeitete sie in einem Minimarkt, um Miete und Gebühren zu stemmen. Koreanische Literatur war für sie mehr als ein Studienfach – es war Leidenschaft. Schon als Kind hatte sie die Märchenbücher ihrer Großmutter verschlungen, Geschichten von Göttern, Geistern, Helden. Diese Bücher waren ihre Zuflucht gewesen, besonders in schwierigen Zeiten. Jetzt, als Studentin, fühlte sie sich diesen Geschichten näher denn je. Das Studium war nicht nur die Vertiefung einer Kindheitsliebe, sondern auch eine Verbindung zu den Wurzeln ihrer Familie. Doch es war nicht immer leicht. Koreanische Literatur bedeutete auch klassische Texte in Hanja, den alten Schriftzeichen. Viele Kommilitonen sahen diese Kurse als Pflicht – Sunmi empfand sie als Herausforderung. Die Zeichen bargen Weisheit und Geschichten, die sie faszinierte. Trotz aller Schwierigkeiten liebte sie ihr Studium. Es gab ihr das Gefühl, Teil einer uralten Tradition zu sein. Und auch wenn sie manchmal zweifelte, wohin das führen sollte, wusste sie eines: Die Geschichten Koreas hatten ihr Leben bereichert und ihr geholfen, ihren Platz in der Welt zu finden. Als Sunmi endlich den Bahnsteig erreichte, blinkte die Anzeigetafel rot: Der letzte Zug war weg. Sie ließ die Schultern hängen. Na toll. Taxi oder Nachtmarsch – beides nicht gerade optimal. Während sie überlegte, ob sie ihr knappes Budget schon wieder für ein Taxi opfern sollte, schweifte ihr Blick durch die Station. Am Ende des Bahnsteigs, halb verborgen hinter Werbeplakaten für Soju und schnelles WLAN, fiel ihr eine Ecke auf, die sie noch nie beachtet hatte. Dort, wo die Fliesen verblichen und rissig waren, schimmerte ein schwaches, goldenes Licht durch einen Spalt in der Wand. Es wirkte fehl am Platz, als hätte jemand eine Kerze inmitten der kalten Neonröhren vergessen. Was ist das? Ihre Neugier siegte über die Vernunft. Du weißt doch, wie das in Horrorfilmen ausgeht, Sunmi. Aber irgendetwas zog sie magisch an. Es war, als würde eine leise Stimme in ihrem Inneren flüstern: Komm näher. Mit pochendem Herzen schlich sie auf die Wand zu. Ihre Schritte hallten auf den Fliesen, jeder Schritt ein kleiner Trotz gegen die Vernunft. Das Licht pulsierte, lebendig und hypnotisch, als würde es auf sie warten. Je näher sie kam, desto stärker wurde das Ziehen in ihrem Inneren – kein Geräusch, sondern ein dumpfer Sog, der sie fast willenlos vorwärts trieb. Sie streckte die Hand aus, zögernd, als würde sie einen Traum berühren. Die kalten Fliesen fühlten sich glatt an, fast wie Glas. Ein Kribbeln zog von ihren Fingerspitzen den Arm hinauf. Sie wollte zurückweichen, doch ihre Hand klebte an der Wand, als hätte das Licht sie gepackt. Das ist nicht normal. Das Licht flackerte, wurde heller und gleißend. Sunmi spürte, wie ihre Finger in die Wand gezogen wurden, als hätte das Licht eine eigene Schwerkraft. Panik stieg in ihr auf. Die Risse in den Fliesen vergrößerten sich, das goldene Leuchten breitete sich wie flüssiges Feuer aus. Plötzlich spürte sie ein Pulsieren an ihrem Hals. Der Halbmond-Anhänger begann zu leuchten, im gleichen Rhythmus wie das Licht in der Wand. Was passiert hier? Ihre Hand griff instinktiv nach dem Anhänger, doch bevor sie ihn fassen konnte, zog das Licht sie mit einer unwiderstehlichen Kraft in die Wand hinein. Ein greller Blitz – alles wurde weiß. Sunmi hatte das Gefühl, der Boden riss unter ihr weg. Farben wirbelten um sie, Blau, Gold, Weiß – ein Kaleidoskop, das jede Orientierung raubte. Sie schloss die Augen, schrie – aber der Laut verschwand in der Stille. Bin ich tot? Träume ich? Der Raum hatte keine Form mehr, nur Bewegung und Licht. Sie fiel – oder flog sie? Es war unmöglich zu sagen. Mit einem letzten, heftigen Ruck wurde sie aus dem Strudel geschleudert. Sie landete auf etwas Weichem, das nach Moos roch. Für einen Moment blieb sie reglos liegen, unfähig zu begreifen, was geschehen war. Langsam öffnete Sunmi die Augen.